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Alfred Elste, Michael Koschat, Hanzi Filipic, NS-Österreich auf der Anklagebank. Anatomie eines politischen Schauprozesses im kommunistischen Slowenien. Hermagoras: Klagenfurt 2000.

von Gerald Steinacher

Der autochthone Beitrag von Österreichern zur NS-Ideologie und zu den Kriegsverbrechen ist erst seit knapp 20 Jahren Gegenstand intensiver Forschung. 1981 wies Bruce F. Pauley als einer der ersten Historiker auf die "vergessenen Nazis" hin.1 Die Waldheim-Affäre und das "Gedenkjahr" 1988 brachten eine Fülle neuer Ergebnisse und einen breiteren Bewußtseinswandel.2

Friedrich Rainer, Gauleiter von Kärnten, und ab 1943 Chef der Zivilverwaltung in Slowenien und Istrien, war einer der mächtigsten Nationalsozialisten Österreichs. Die Studie von Alfred Elste, Michael Koschat und Hanzi Filipi? "NS-Österreich auf der Anklagebank" zeichnet die Linien dieser österreichischen NS-Karriere nach. Rainer kam wie viele Österreicher über den Deutschnationalismus zur NS-Ideologie. Prägend war neben dem Vater, Lehrer in St. Veit, auch der Historiker und Archivdirektor Martin Wutte, dem Rainer 1942 den "Kärntner Wissenschaftspreis" verlieh. "Was ich von ihm lernte", konstatierte Rainer rückblickend, "ist heute noch Grundlage meiner Geschichtskenntnisse" (S. 69). Nach dem Jura-Studium arbeitete Rainer als Jurist in Klagenfurt und fand ab 1919 im Deutschen Turnerbund jene weltanschaulichen Denkmuster, die für ihn zum Glaubensinhalt wurden: deutsche Volkstumspflege, Antiklerikalismus, Antimarxismus und Antisemitismus. In der Folge durchlief er alle Ämter bis zur österreichischen Leitung des Turnerbundes. Seine Weltanschauung führte ihn schließlich zur NSDAP: Er war 1930 unter den Gründungsmitgliedern der ersten Ortsgruppe der NSDAP in St. Veit. Ab 1934 arbeitete er für den Spitzeldienst der SS. Mit den neuen Kontakten zu seinem langjährigen Mitstreiter Odilo Globocnik und Heinrich Himmler begann Rainers Aufstieg in der NS-Hierarchie. Als nach dem "Anschluss" im März 1938 in Österreich die Pfründe verteilt wurden, kam Rainer zunächst als Gauleiter nach Salzburg, wo er zum "großmächtigen Gaufürsten" avancierte (S. 96). Schließlich wurde er, von Himmler protegiert, 1941 Gauleiter von Kärnten. Die "schönste Aufgabe des neuen Gauleiters" sollte die vollkommene Germanisierung Kärntens, der "Südgrenze Südgrenze des Großdeutschen Reiches" werden (S. 103). Dazu gehörte auch das nördliche Slowenien, das 1941 offiziell als Oberkrain zum Gau Kärnten geschlagen wurde. Häufige Zwangsaussiedlungen der slowenischen Bevölkerung machten Oberkrain zum Übungsplatz der Germanisierer. Nach der italienischen Kapitulation im September 1943 wurde der Raum Laibach-Triest vom NS-Reich de facto annektiert und Rainer als "Obersten Kommissar" unterstellt. Die Schaffung dieser "Operationszone Adriatisches Küstenland" wurde vordergründig militärisch gerechtfertigt, Annexionsabsichten waren aber offensichtlich. Durch das bewusste Anknüpfen an Traditionen der k.u.k. Monarchie versuchte man, noch vorhandene Österreich-Sympathien für das "Dritte Reich" zu mobilisieren. Daneben konnte Rainer die Sprachgruppen (besonders Slowenen und Italiener) gegeneinander ausspielen. Wo es zu Widerstand kam, griff der Repressionsapparat brutal durch. Nach Kriegsende wurde der flüchtige Rainer von den Briten verhaftet und 1947 an Jugoslawien ausgeliefert.

Die quellenreiche und gut lesbare Kurzbiographie wäre allein schon Leistung genug, wartet man doch seit Jahren hierzulande vergeblich auf eine Biographie über Rainers Tiroler Gegenstück - Gauleiter Franz Hofer. Ab 1943 sind die Parallelen zwischen Hofer und Rainer - besonders in der Art ihrer Annexionspolitik - unübersehbar. Hofer fungierte ab September 1943 als "Oberster Kommissar" im Raum Trentino, Südtirol und Belluno und verfolgte die gleichen Ziele wie Rainer in "seinem" Herrschaftsraum. Besonders im Trentino griff man zu ähnlichen Mitteln: Nutzung der Habsburg-Nostalgie und der vorhandenen Autonomietendenzen. Leider geht diese Studie auf solche notwendigen Vergleiche nicht ein.

Das von den Autoren im Vorwort selbst gestellte Ziel, "politische Biographien" mit der Analyse des Kriegsverbrecher-Prozesses gegen Rainer zu verbinden, bleibt im Ansatz stecken. Dies zeigt sich schon an der Einteilung der Kapitel: Das Buch beginnt mit dem Prozess, geht dann auf die Rainer-Biographie über, wechselt wieder zum Prozess und endet mit Kurzbiographien der Mitangeklagten. Der unterschiedliche Schreibstil der Autoren wirkt in diesem Zusammenhang ebenfalls störend. All dies zusammen erweckt den Eindruck einer heterogenen Aufsatzsammlung zum gewählten Über-Thema. Mit namentlich gekennzeichneten, in sich abgeschlossenen Beiträgen hätte das Buch m. E. an Qualität gewonnen.

Die ausführliche Analyse des Laibacher-Prozesses gegen Rainer hebt sich daher vom biographischen Teil deutlich ab. Das Verfahren gegen mehrere österreichische und deutsche Nationalsozialisten im Juli 1947 zählt aufgrund der politischen Tragweite zu den komplexesten Gerichtsprozessen im Nachkriegs-Slowenien. Die Intention der Anklage reduzierte sich nicht nur auf die Verurteilung der NS-Okkupationspolitik in Slowenien. Vor dem Hintergrund der ungelösten Grenzfrage zwischen Österreich und Jugoslawien wollte man vor allem auch die Verantwortung der österreichischen NS-Nomenklatura an den brutalen Vergeltungsmaßnahmen gegen Partisanen aufzeigen. Im beginnenden Kalten Krieg sollten diese Kriegsverbrechen als politisches Druckmittel, gegen die junge Zweite Republik eingesetzt werden (Italien führte dieses Argument ebenfalls ins Feld, um die Brennergrenze zu erhalten). Besonderer Angriffspunkt des Laibacher Militärgerichts war die - im Vergleich zu Wien - mangelhafte Entnazifizierung in Kärnten. Die Darstellung des Prozesses basiert auf Akten von Justiz- und Polizeibehörden sowie auf Beständen des jugoslawischen, respektive slowenischen, Geheimdienstes jener Jahre (heute im Archiv der Republik Slowenien). Beide Quellen (Justizakten und Geheimdienstberichte) wurden bis vor wenigen Jahren nur sehr begrenzt für die Forschung verwendet. Das neue Quellenmaterial erweist sich als eine große Stärke des Buches.

Das schlecht vorbereitete und im Stile eines Schauprozesses geführte Laibacher Verfahren endete mit dem Todesurteil für Rainer und war als stellvertretende Verurteilung der ca. 2000 österreichischen Kriegsverbrecher in Jugoslawien zu werten. Trotz dieser Mitschuld konnte das offizielle Österreich jegliche Verantwortung an Krieg und NS-Ideologie 1955 aus dem Staatsvertrag streichen. Dies war ebenso ein Ergebnis des Kalten Krieges wie das Zuschütten der Erinnerung an den Laibacher Prozess gegen Rainer und andere. Konsequenterweise schrieb Ex-Kanzler Kurt Schuschnigg im Jahr des Rainer-Prozesses: "...der Nationalsozialismus war das totale Gegenteil von allem, was Österreich ausmacht..."3


1Bruce F. Pauley, Hitler and the Forgotten Nazis. A History of Austrian National Socialism. Chappel Hill 1981.
2Vgl. dazu Gerhard Botz, Gerald Sprengnagel (Hrsg.), Kontroversen um Österreichs Zeitgeschichte. Verdrängte Vergangenheit, Österreich-Identität, Waldheim und die Historiker. Frankfurt u.a. 1994.
Michael Gehler, Die Affäre Waldheim. Eine Fallstudie zum Umgang mit der NS-Vergangenheit in den späten achtziger Jahren. In: Rolf Steininger, Michael Gehler (Hrsg.), Österreich im 20. Jahrhundert. Band 2. Vom Zweiten Weltkrieg bis zur Gegenwart. Wien 1997. S. 355-413.
3Kurt von Schuschnigg, Austrian Requiem. London 1947. S. 5.
 


Gerald Steinacher ist Mitarbeiter des Südtiroler Landesarchivs in Bozen.

Buchveröffentlichung:
Gerald Steinacher, Südtirol und die Geheimdienste 1943-1945 (Innsbrucker Forschungen zur Zeitgeschichte 15) Innsbruck 2000.


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