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Robert Bohn, Reichskommissariat Norwegen. "Nationalsozialistische Neuordnung" und Kriegswirtschaft (Beiträge zur Militärgeschichte 54). Oldenbourg: München 2000.

von Martin Moll



Zwei Explosionen markieren Anfang und Ende der fünfjährigen deutschen Okkupation Norwegens im Zweiten Weltkrieg. Mit der einen versank am 9.rieg. Mit der einen versank am 9. April 1940 der mit Invasionstruppen beladene Kreuzer "Blücher" im Abwehrfeuer einer norwegischen Küstenbatterie im Oslofjord. Mit der zweiten setzte der von Hitler inthronisierte "Reichskommissar für die besetzten norwegischen Gebiete" Josef Terboven am 8. Mai 1945 seinem Leben ein Ende, indem er sich in seiner Residenz in die Luft sprengte.

Diese beiden Ereignisse bilden die Klammer für die nunmehr gedruckte Habilitationsschrift Bohns. Sie unterstreichen das im deutschen Griff nach Norwegen stets präsente Gewaltmoment, bilden jedoch keineswegs den Mittelpunkt des Erkenntnisinteresses. Dem Verfasser geht es darum, die fünf Jahre Okkupationsherrschaft ins Zentrum zu rücken und über die detailbesessene Beschäftigung mit der bloß zwei Monate währenden militärischen Eroberung des Landes hinauszugelangen. Wie er in seiner Einleitung dargelegt, konzentrierte sich die deutsche Forschung bis in die jüngste Vergangenheit auf das sensationelle Landungsunternehmen "Weserübung". Apologetische Tendenzen der älteren Historiographie, wonach es ein haarscharf zugunsten Deutschlands entschiedenes Wettrennen alliierter und deutscher Invasionsverbände gegeben habe, sind zwar in den Hintergrund getreten, ohne dass es zu einene dass es zu einer Neubewertung der "Weserübung" und der mit dem Unternehmen verfolgten Ziele der NS-Führung gekommen wäre.

Die norwegische Geschichtsschreibung konzentrierte sich auf den Widerstandskampf, wie er sowohl im Lande als auch aus dem Exil praktiziert wurde. Geprägt durch aktiv an diesem Kampf beteiligte Personen, befasste sie sich mit den fünf Besatzungsjahren, war jedoch durch das kanonisierte Schwarz-Weiß-Schema des "guten" Widerstandes gegen die "bösen" Okkupanten und deren Helfershelfer, die Quislinge, gehindert, zu einer ganzheitlichen Sicht des Lebens des 3-Millionen-Volkes unter deutscher Herrschaft zu gelangen. Aspekte, die geeignet waren, die zu einem nationalen Mythos stilisierte Interpretation der einmütigen Abwehrfront gegen Besatzer und Kollaborateure in Frage zu stellen, blieben ausgeblendet. Erst in den letzten Jahren mehren sich die Anzeichen des Wandels hin zu einer Erweiterung der Fragestellungen.

Vor dem Hintergrund dieses unbefriedigenden Forschungsstandes formuliert Bohn sein Anliegen als Untersuchung des Einflusses der Kriegsnotwendigkeiten auf die Besatzungspolitik und deren ideologische Vorgaben. Mit Recht erscheint ihm die vernachlässigte Wirtschaft das geeignetste Objekt zu sein, zumal sich diese in keinem anderen Zeitabschnitt so nachhaltig veränderte wie in den Jahren 1940-45 (S. 25). Da sich dieser Wandel in einem Beziehungsgeflecht von Wirtschaft und Politik abspielte, wird zunächst ein Überblick über die Instanzen der Besatzungsmacht, allen voran das Reichskommissariat, vermittelt. Das Buch bietet somit nicht zum geringsten eine nirgendwo sonst vorliegende Behördengeschichte, welche die mannigfaltigen Einflüsse der Zentralstellen im Reich berücksichtigt. Überzeugend wird ausgeführt, dass nach dem Scheitern der 1940 avisierten "Neuordnung", der Selbst-Nazifizierung durch eine politische Lösung, Terboven immer stärker auf seine SS- und Polizeiverbände zurückgreifen musste. Entgegen den Wünschen des Reichskommissars war dieser seit Herbst 1940 zur Kooperation mit der NS-Partei "Nasjonal Samling" unter Quisling verurteilt. Obwohl Terboven hinsichtlich Quislings Fähigkeiten und dessen Akzeptanz bei den Norwegern keinerlei Illusionen hegte, wurde das dualistische System einer deutschestem einer deutschen Okkupationsbehörde und einer norwegischen Administration Anfang 1942 durch die Bildung einer "Nationalen Regierung" unter Quisling bekräftigt. Auf breiter Quellengrundlage kann Bohn nachweisen, dass die ständigen Reibereien und Konflikte zwischen den beiden Instanzen für deren Verhältnis typischer waren als das Klischee einer bedingungslosen Kollaboration, für die Quisling zu einem Symbol geworden ist. Dessen Regierung war selbständiger, als es den Anschein hatte, sodass die Umsetzung der deutschen Wünsche, namentlich bei der Gestaltung der Kriegswirtschaft, nicht selten auf zähen Widerstand stieß (S. 55 f.). Aus der Sicht Terbovens hatte die Quisling-Regierung die immer unverhüllter praktizierte Ausbeutungsstrategie gegenüber den Norwegern zu vertreten ohne Rücksicht darauf, dass sie hierdurch den letzten Rest an Glaubwürdigkeit einbüßte.

Bohn unterstreicht, das Geschehen lasse sich nur unter Einbeziehung der ständigen Interessenkämpfe erschließen. Nicht nur die Nasjonal Samling trat als retardierendes Element in Erscheinung. Hinzu kam, dass die Reichsstellen hochtrabende, im einzelnen divergierende Konzepte entwickelten, auf welchen Wegen die norwegische Volkswirtschaft in den "Gro&szhaft in den "Großwirtschaftsraum" unter deutscher Hegemonie integriert werden sollte. Bei allen Unterschieden verstand es sich, dass die Förderung einzelner Wirtschaftszweige keinen Selbstzweck darstellte, sondern an den Bedürfnissen des Reiches orientiert war. Nicht genug damit, dass sich die widerstreitenden Vorstellungen gegenseitig blockierten - vollends über den Haufen geworfen wurden sie durch ein gigantonomisches, im Frühjahr 1940 begonnenes Programm der Wehrmacht, das ohne Rücksicht auf die Ressourcen des Landes die militärische und die Verkehrsinfrastruktur ausbauen wollte. Ging es anfangs um die Schaffung der Voraussetzungen für Offensiven gegen Großbritannien und die Sowjetunion, so verlagerte sich der Schwerpunkt in der Folge auf den Ausbau der "Festung Norwegen" gegen die erwartete alliierte Invasion. Der vom Wehrmachtbefehlshaber angeforderte Finanzbedarf sprengte bald jeden Rahmen und beschwor die Gefahr einer Inflation herauf, woran Terboven als der für die Ruhe Verantwortliche kein Interesse haben konnte. Als ebenso verhängnisvoll erwies sich der unstillbare Hunger der Wehrmacht nach Arbeitskräften, der diauml;ften, der die seltsamsten Blüten trieb, warben sich doch deutsche Dienststellen die raren Arbeiter gegenseitig ab. Der Verfasser zeichnet ein Bild ständigen Gegeneinanders, das lediglich dem Gesetz des Dschungels gehorchte und jeglichen Ansatz einer Koordinierung vermissen ließ.

Plausibel klingt Bohns These, Hitlers Verzicht auf die Errichtung einer Militärverwaltung habe sich positiv ausgewirkt, denn die Generäle hätten das Land noch bedenkenloser ausgeplündert (S. 188). Wohl hatte Norwegen unter allen okkupierten Staaten pro Kopf den höchsten Beitrag zu den Besatzungskosten zu erbringen - die Wehrmachtsausgaben betrugen 1940/41 das Vierfache des norwegischen Staatshaushalts von 1938/39 (S. 308). Dennoch stand die Wirtschaft bei Kriegsende besser da als andere Ökonomien unter deutscher Herrschaft, was der Verfasser u.a. auf die Kooperation der Hauptabteilung Volkswirtschaft (HaVoWi) des Reichskommissariats mit der norwegischen Administration zurückführt (S. 176). Erstere konnte keinerlei Interesse an einer Zerrüttung der Volkswirtschaft haben, während auf Seiten der Norweger bis weit in den Krieg hinein unpolitische Fachleute das Sagen hatten, von der Besatzungsmacht gegen die Anfeindungen der Quisling-Partei gestützt. Die Frstützt. Die Fronten folgten keineswegs einem Schwarz-Weiß-Schema, sondern wiesen im Gegenteil verwirrende Züge auf. So beklagte sich die Wehrmacht, das Reichskommissariat arbeite für die Norweger. In der Tat trat die HaVoWi als Anwalt der norwegischen Wirtschaft auf den Plan, zumal sie mit unpolitischen Fachleuten besser zusammenarbeitete als mit der Garde um Quisling, zeichnete sich diese doch durch einen erschreckenden Dilettantismus aus (S. 193-196). Auf dem Feld der Ökonomie wurde Hitlers Befehl, Quisling zu unterstützen, offen sabotiert (S. 215). Allerdings hatte sich die Nasjonal Samling dies selbst zuzuschreiben, stand doch ihre "Wirtschaftspolitik" nicht bloß im Zeichen mangelnder Sachkenntnis, sondern diente nicht zum mindesten den innerparteilichen Profilierungsversuchen.

Da die Nasjonal Samling keinen nennenswerten Einfluss auf den Wirtschaftsablauf nahm, gestaltet sich die Frage nach dem Verhalten der norwegischen Unternehmer umso spannender. Diese setzten, da privatkapitalistischen Interessen verpflichtet, den Okkupanten wenig Widerstand entgegen. Ökonomische Kollaboration, die hohen Profit versprach, traf zusammen mit einer Einstellung als guter Patriot, der mit dem Widerstand sympathisierte. Kaum zu beantworten bleibt die Frage, welche Rolle offee, welche Rolle offener Zwang spielte. Die Besatzungsmacht hatte zwar formal die Macht inne, die unentbehrlichen norwegischen Firmen bestimmten jedoch die Konditionen. Um den Profit zu erhöhen, wurde extrem langsam gearbeitet, wodurch den Okkupanten ein größerer Schaden entstand als durch Widerstands- und Sabotageaktionen ! Arbeiter und Unternehmer betrachteten es als Akt nationalen Widerstandes, für die Deutschen für möglichst viel Geld möglichst wenig zu arbeiten. Da die Besatzungskosten von Norges Bank gezahlt werden mussten, ging dieses pseudo-patriotische Kalkül ebenso wenig auf wie die deutsche Erwartung, Bauverzögerungen durch (noch) höhere Löhne überwinden zu können (S. 266 f.). Den Besatzungsalltag bestimmte nicht der Kampf der "Guten" gegen die "Bösen", sondern ein komplexes Szenario mit vielerlei Abhängigkeiten.

Mehrere Abschnitte widmen sich der Mobilisierung der norwegischen Volkswirtschaft für die deutsche Rüstung. Bohn plädiert dafür, den Sachverhalt nic Sachverhalt nicht in simplen Kategorien schierer Ausplünderung zu erfassen, obwohl es auch derartige Momente gab. Daneben kamen diffizilere Instrumente zum Einsatz: Der Besatzungskostenbeitrag, die nie abgebauten deutschen Clearing-Schulden aus dem Warenaustausch sowie die Gestaltung der "terms of trade", bei denen sich über die Festsetzung der Preise manipulieren ließ. Wiederholt kommt das Auftreten der deutschen Wirtschaft zur Sprache, die sogar von Terboven in die Schranken gewiesen werden musste. Analysiert werden einige spektakuläre Vorhaben zur Kapazitätserweiterung insbesondere der Rohstoff- und Energiewirtschaft. Das auf den Ausbau einer riesigen Aluminiumindustrie abzielende "Leichtmetallprojekt" zeigt die politische Führung nicht als Werkzeug des "Monopolkapitals", sondern erweist die Interessenkongruenz zwischen Wirtschaft und Staat. Wie so viele andere Vorhaben scheiterte das Unternehmen an den kriegsbedingten Mangelerscheinungen.

Hält man sich die Knappheit der Ressourcen, das Steckenbleiben der meisten Investitionspläne, den Widerstand der Norweger sowie die Inkompetenz, den Größenwahn und die auseinanderstrebenden Interessen auf deutscher Seite vor Augen, so ist es erstaunlich, welchen bedeutsamen Beitrag Norwegen zur deutschen Ern&aur deutschen Ernährungs- und Rohstoffversorgung erbrachte. Bohn breitet hierzu umfangreiches Material aus und weist die Lieferungen für alle wichtigen Wirtschaftszweige nach.

Die verständlich geschriebene Arbeit stützt sich neben der Auswertung der einschlägigen Literatur auf einen ausgesprochen breiten Quellenbestand in deutschen und norwegischen Archiven. Durch den Nachweis der Übertragung innerdeutscher Konflikte auf das besetzte Land wird die Relevanz des Polykratie-Modells der NS-Herrschaft unter Beweis gestellt. Die Wehrmacht erscheint keineswegs als moderates, sondern im Gegenteil als das für die rücksichtsloseste Spielart der Okkupationspolitik eintretende Element, während das Reichskommissariat eher wilhelminisch-imperialen Kategorien verhaftet blieb. In Summe liegt hier eine Studie vor, die Klischees deutscher wie norwegischer Provenienz widerlegt und ein differenziertes Bild eines deutschbesetzten Landes zeichnet. Nicht zuletzt deshalb wünscht man sich die Übertragung des Modells auf andere okkupierte Staaten unter Berücksichtigung des durch Krieg und Besatzung angestoßenen, langfristigen Strukturwandels.
 


Martin Moll ist Historiker in Graz
 


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