Heirat als essentieller Bestandteil der bürgerlich-weiblichen Normalbiographie und "center of the so-called female plot"1 zeichnet sich als konstantes Motiv in der Literatur des 19. Jahrhunderts ab. Hierbei fällt dem Konzept der Schönheit eine existenzielle Bedeutung zu, indem diese über das Gelingen und Scheitern dieser "weiblichen Berufung" entscheidet. Allen hier beschriebenen literarischen Frauenfiguren ist eine kulturelle und ethnische Hybridität gemein, welche im Kontext des erstarkenden Rassendiskurses einen Gegenentwurf zum zeitgenössischen Schönheitsideal darstellt. Inwiefern es einzelnen Frauengestalten gelang, sich über dieses hinwegzusetzen, und zu welchem Preis dieser Prozess erfolgte, wird im Folgenden dargestellt.
Christl Grießhaber-Weninger versteht es in ihrer Studie, literarische Texte in den historischen Kontext des 19. Jahrhunderts einzubinden und mittels soziologischer, medizinischer und erziehungswissenschaftlicher Diskurse zu entschlüsseln. Dem Rassen- und Geschlechterdiskurs kommt hierbei eine besondere Bedeutung zu. Des Weiteren nimmt die Autorin mit Werken von Homi Bhabha (1994)2, Gareth Griffiths (1998)3, Simone de Beauvoir (1968)4 und Judith Butler (1993)5 Bezug auf den aktuellen post-kolonialistischen und feministischen Diskurs und erweitert dadurch den Reflexionsrahmen der Studie.
Grießhaber-Weninger diskutiert in ihrer Studie gezielt die Konstruiertheit des Rassenkonzepts - verzichtet dabei jedoch durchgehend auf Anführungszeichen im Zusammenhang mit der Verwendung der Begriffe "Rasse" und "rassisch", um, in ihren Worten, den Lesefluss nicht zu stören. Dieser Ansatz erweist sich insofern als problematisch, als sich die Autorin damit zwar inhaltlich, jedoch nicht auf einer linguistischen Ebene von den Konzepten der Rassentheoretikern des 19. Jahrhunderts distanziert. Nichtsdestotrotz kommt der Interaktion zwischen "Rasse" und "Geschlecht" als sozialen Konstrukten innerhalb der Studie eine Schlüsselposition zu. Hierbei wird auf die Parallelität zwischen dem Umgang mit dem Fremden innerhalb der Kultur des Okzidents und der Beziehung zum anderen ("schönen") Geschlecht verwiesen. Auf diese Weise eröffnet Grießhaber-Weninger neue Einblicke in das Werk von Gottfried Keller, Gabriele Reuter, Heinrich Mann und Max Dauthendey.
In Gottfried Kellers Sinngedicht (1881) tritt im vorletzten Erzählzyklus der portugiesische Protagonist Don Correra als Kolonisator in Afrika auf. Don Correra nimmt dabei nicht nur den feminisiert dargestellten schwarzen Kontinent in Besitz, sondern erobert das Fremde schließlich in Gestalt einer Frau. Er erwählt sich die Sklavin Zambo, deren Herkunft mysteriös bleibt und die vage mit der biblischen Figur der Königin von Saba in Verbindung gebracht wird. Nach ihrer Konversion durch Jesuiten, bei der ihr der symbolträchtige Namen "Maria" verliehen wird, findet die Vermählung mit Don Correra statt. Erst nach der vollzogenen Domestizierung kann Maria - alias Zambo - Aufnahme in die europäische Gesellschaft finden. Grießhaber-Weninger spricht in diesem Zusammenhang von einer "rückwärtsgewandten Utopie", da Harmonie erst durch die Kolonialisierung des Fremden und der vollkommenen Aufgabe der ursprünglichen kulturellen Identität entstehen kann. Gleichzeitig verweist die Autorin auf Kellers progressive Interpretation des zeitgenössischen Rassenkonzeptes, indem hier die Verbindung zwischen den "Rassen" und Kulturen ermöglicht wird.
Ms. Alison, die Protagonistin in Gabriele Reuters Roman "Aphrodite und ihr Dichter" (1894) ist die Tochter eines bedeutenden englischen Gelehrten und einer schwarzen Sklavin. Sie wird als junges Mädchen zur Erziehung nach England geschickt, wo sie sich den Diskurs der westlichen Wissenschaft aneignet. Nach ihrer Rückkehr nach Alexandrien arbeitet Ms. Alison gemeinsam mit ihrem Vater an archäologischen Forschungsprojekten. Trotz der britischen Erziehung und der Identifikation mit westlicher Kultur gelingt die Integration nur begrenzt, da ihre dunkle Hautfarbe sich als unüberwindbare Hürde innerhalb der europäischen Gesellschaft erweist und, wie eingangs beschrieben, auch ihre "Heiratsfähigkeit" erheblich beeinträchtigt. Ms. Alison steht zwischen den Kulturen und personifiziert auf diese Weise den Antagonismus zwischen Orient und Okzident. Die Erzählung bleibt trotz progressiver Ansätze in der eurozentrischen Perspektive verhaftet und verwendet zum Teil ethnische Stereotypien in der Beschreibung der hybriden Protagonistin. Christl Grießhaber-Weninger weist in diesem Zusammenhang jedoch darauf hin, dass die wissenschaftlich tätige Ms. Alison im Kontext des späten 19. Jahrhunderts als Frau mit ungewöhnlichem Ausbildungs- und Freiheitsgrad erscheint. Indem Gabriele Reuter eine hybride und aufgrund ihrer Hautfarbe als "hässlich" definierte Protagonistin zur Heldin erklärt, erhebt die Autorin eine Gegenposition zum männlichen Konzept des weiblichen Schönheitsideals.
Heinrich Manns Protagonistin Lola Gabriel im Roman "Zwischen den Rassen" (1907) ist autobiographisch nach den Erinnerungen seiner brasilianischstämmigen Mutter geformt. Lola, Tochter einer brasilianischen Mutter und eines deutschen Vaters, wurde in Brasilien geboren, wo sie ihre Kindheit verbringt. Als junges Mädchen wird sie vom Vater zur Erziehung nach Deutschland geschickt, wo sie sich nur mühsam zu integrieren vermag. Sie identifiziert sich zwar mit der Kultur ihres Vaters - Sprache, Klima und Menschen des Landes bleiben ihr jedoch auf ewig fremd. In Lolas kultureller Heimatlosigkeit spiegelt sich der Antagonismus zwischen den Geschlechtern und Kontinenten. Die "Dazwischen-Befindlichkeit" ihres Wesens überträgt sich auch auf ihre Männerbekanntschaften in Gestalt des deutschen Dichters Acton und des italienischen Tatenmenschen Pardi. Die Ehe mit Letzterem verläuft jedoch unglücklich und am Schluss der Novelle kommt es zu einer erneuten Begegnung zwischen Lola und Acton, wobei sich die beiden ihrer gegenseitigen Liebe bewusst werden. Der Roman endet mit einem angedeuteten Duell zwischen Acton und Pardi. Christl Grießhaber-Weninger verweist auf die doppelte Ausgrenzung der hybriden Frau, die in der Protagonistin Lola zum Ausdruck kommt. Sie trägt den "rassischen" und geschlechtlichen Konflikt in ihrem Körper aus, ohne zu einer befreienden Synthese zu gelangen.
Max Dauthendeys asiatische Reisenovelle "Die acht Gesichter am Biwasee" (1911) spiegelt die Faszination des Exotischen im europäischen Kulturkreis der Jahrhundertwende. Die erste Erzählung im Novellenzyklus erzählt die Geschichte der Japanerin Hanake, die aufgrund ihrer außerordentlichen Schönheit vom Prinzen des Landes als Frau auserkoren wird. Hanake verliebt sich jedoch in den Gesandten, der sie aufsucht, um ihr die Botschaft des Prinzen zu übermitteln. Durch einen unglücklichen Zufall wird der von ihr geliebte Mann jedoch kurz darauf getötet. Hanake wird vom Prinzen persönlich besucht, der ihr verkündet, sie noch hundertmal aufzusuchen. Hanake flüchtet daraufhin in den Liebesmarkt Tokios, da sie sich lieber hundertmal an fremde Männer verkauft als hundertmal Liebe vortäuschen zu müssen. Am Ende nimmt sie sich das Leben. Die Protagonistin Hanake bleibt in ihrer Subalternität im Machtverhältnis gegenüber dem Prinzen, den japanischen Gesellschaftskonventionen und in ihrer Stellung als Frau in der japanischen Gesellschaft gefangen. Gleichzeitig versteht es Hanake jedoch, sich den traditionellen Erwartungen innerhalb des männlich dominierten Systems zu widersetzen und bewahrt dadurch die Selbstbestimmung über ihren Körper - wenn sie auch dafür schließlich mit ihrem Leben bezahlt. Grießhaber-Weninger verweist auf die in der Erzählung angedeutete Kritik an der westlichen Kolonialherrschaft, welche dadurch betont wird, dass der Autor einem deutschen Lesepublikum die Geschichte aus der Perspektive der japanischen Protagonistin vermittelt. Dennoch bleibt Max Dauthendey letztendlich in der Faszination mit der erotisch aufgeladenen Exotik der japanischen Kultur verhaftet. Dies findet vor allem in der optimistischen Beschreibung der "Kultiviertheit" des Yoshiwara-Liebesmarktes seinen Ausdruck, dessen trübe Realität vom Autor völlig ausgeblendet wird.
Zambo, Ms. Alison, Lola und Hanake finden sich als hybride Frauen in einer männlich und westlich dominierten Gesellschaft wieder, deren Schranken sie zumeist vergeblich zu durchbrechen versuchen und die schließlich daran scheitern, ihrer spezifischen Stimme Gehör zu verschaffen. Ihre double-bind-Situation als Angehörige eines subalternen Geschlechts und einer subalternen "Rasse" spiegelt sich in ihrem Schicksal wider. Bis auf die Figur der Zambo (Maria), die sich um den Preis ihrer kulturellen Identität einer Assimilation unterzieht, wird allen hier dargestellten hybriden Frauengestalten die Integration in die Gesellschaft letztendlich verweigert.
Christl
Grießhaber-Wenninger ist es in ihrer Studie überzeugend gelungen,
die enge Verwobenheit von literarischer und zeitgenössischer Literatur
darzustellen, indem die Autorin aufzeigt, inwiefern das Machtverhältnis
des Rassen- und Geschlechterdiskurses des 19. Jahrhunderts die literarische
Darstellung beeinflusste. In welchem Ausmaß die diskutierten SchriftstellerInnen
den vorherrschenden Diskurs perpetuierten beziehungsweise sich von diesem
zu emanzipieren verstanden, wird von der Autorin präzise analysiert.
Michaela
Raggam ist Historikerin und arbeitet an einer Dissertation zu jüdischen
Frauen um 1900 in Wien. Sie ist Mitarbeiterin des Leo Baeck Institutes
in New York.