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Christian Wurster, Computers. Eine illustrierte Geschichte, Taschen: Köln 2002.

 

von Robert Holzbauer

 

Obwohl die Durchdringung der westlichen Gesellschaft mit elektronischen Geräten evident ist, ist sie von Seiten der Geschichtswissenschaft (oder vielleicht besser: der Historiker/innen) kaum reflektiert. Ein Buch mit dem Anspruch eines historischen Überblicks scheint daher eine Lücke zu füllen. Das hier besprochene Buch ist also (zumindest bei mir) auf eine ausgeprägte Erwartungshaltung getroffen.

Auffallend ist das äußere Erscheinungsbild des Buches: Es ist im Querformat gedruckt (wird also nicht von rechts nach links, sondern von unten nach oben umgeblättert) und - wie es der Titel des Buches verspricht und wie es der Tradition des Taschen-Verlages entspricht - reichlich illustriert.

Die Einleitung ist mit dem Titel "Man/Machine/Interface" überschrieben. Dies stellt ein Hauptmotiv des Buches dar. Hauptinteresse des Autors ist die "Oberfläche als physikalisches Interface" (S. 013); dass damit menschliche Individuen in Berührung kommen, ist offensichtlich nicht zu vermeiden. Schon in der Einleitung schränkt Wurster daher das Versprechen, das er im Titel des Buches gegeben hat, deutlich ein: Eigentlich interessiert ihn hauptsächlich das "Interface des Computers als Verbindungsglied zwischen Mensch und Maschine". Und "die Geschichte des Interface" könne eben "nur entlang der Geschichte des Computers" erzählt werden (S. 015).

Dieser Verzicht auf gesellschaftliche, wirtschaftliche und politische Bezüge macht sich schon im ersten Kapitel ("Der Wissenschafts- und Militärrechner") schmerzlich bemerkbar. Wir treffen etwa auf Konrad Zuse, der mitten in der Hauptstadt Nazi-Deutschlands eine seltsame "Eingebung" hatte: "Die Eingebung, einen Computer zu bauen, kommt Konrad Zuse aus Berlin angesichts sich ständig wiederholender Berechnung bei seiner Arbeit als Bauingenieur."(S. 018)

Konrad Zuse ist übrigens der einzige Angehörige der "Alten Welt", der in dieser Geschichte Erwähnung findet. Wurster ortet den "Mainstream" seiner Geschichte in den USA (erst gegen Ende des Buches kommen dann immer mehr asiatische Electronica ins Bild, weniger in den Text).

Während Konrad Zuse in Berlin seine Eingebungen in die Realität umsetzte, entwickelten jenseits des Atlantiks die Wissenschaftler der Harvard University den Computer "Harvard Mark I", von dem wir erfahren, dass er aus 750.000 Teilen bestand und ein 17m langes und fünf Tonnen schweres "Rechenungetüm" war. Wenn es nach Wursters Geschichte geht, haben auch sie vollkommen losgelöst von Wirtschaft, Politik und militärisch-industriellem Komplex gehandelt - und das mitten im Weltkrieg!

Durchaus zum Vorteil des Werkes wird das Konzept, nur über die Oberfläche des Computers zu schreiben, nicht immer durchgehalten. Immer wieder drängt sich auch so etwas wie "Kontext" in das Buch. So erfahren wir beiläufig, für welchen Zweck die frühen Computer zum Einsatz kamen: etwa für die Berechung einer Wasserstoffbombe (S. 023), für die Koordination von Radar-Anlagen oder für die U.S.-Volkszählungsbehörde (S. 045). Manche reale Fragen werden lediglich als Bild-Unterschrift äußerst knapp angeschnitten. So findet sich auf S. 079 der lapidare Satz: "Wegen verschiedenster Technologie-Embargos des Westens ist der sozialistische Ostblock angehalten, seine eigene Computertechnik zu entwickeln." Sollte damit gar angedeutet werden, dass es eine Computer-Geschichte außerhalb der USA gegeben haben könnte?

Das zweite Kapitel ist dem Thema "Der Großrechner" gewidmet. Es wird aber nicht klar, was diesen vom "Wissenschafts- und Militärrechner" unterscheidet. Auf einer knappen Doppelseite mit dem Titel "IBM betritt die Arena" erfahren wir etwa, dass das Modell 701 von IBM als "Defense Calculator" bezeichnet wurde. Weil aber die Frage, warum dies geschah, über die Betrachtung des "Interface" hinausgeht, unterbleibt sie. Gerade zu IBM hätte sich ja auch einiges an historischer Literatur finden lassen. Fast scheint es, als wolle der Autor die Wirkung der Illustrationen nicht mit allzu viel Text verunreinigen.

Der Unterbrechung seitenlanger Illustrations-Serien dienen auch Text-Einschübe von Gast-Autoren, wie etwa jener von Emil Zopfi über das IBM System/360 auf den S. 067-069. Dieser ist im Schriftbild eines 9-Nadel-Matrixdruckers (etwa bis Mitte der 80er Jahre üblich) auf grün-kariertes Rasterpapier gedruckt. Inhaltlich handelt es sich dabei um (streckenweise nicht uninteressante) Veteranenprosa:

"Es war wie das Anwerfen eines Kraftwerks. Der doppelte Boden des Rechenzentrums erzitterte, brummende Ventilatoren wühlten die Luft auf, Magnetplatten sangen das hohe C. Ich drückte eine Taste, die mit IPL bezeichnet war: Initial Program Load. Das Betriebssystem hob ab, Myriaden von Lämpchen tanzten flackernd auf der schwarzen Front der Maschine, die Konsol-Schreibmaschine hackte kryptischen Code." (S. 067)

In den 60er Jahren des vorigen Jahrhunderts begannen Ausmaße und Preise von Computern zu schrumpfen, was deren Massenverbreitung gefördert haben dürfte. Obwohl wir es zweifellos mit einer Entwicklung zu tun haben, die zahlreiche Fragen an die Wirtschaftsgeschichte aufwirft, bleibt Wurster im Kapitel "Der Minicomputer" wieder konsequent bei der Beschreibung der Oberfläche der einzelnen Maschinen und lässt sich dabei wieder vom Zeitzeugen Emil Zopfi helfen.

Rund zwei Drittel des Buches widmen sich der Entwicklung von Micro-, Home- und Personal Computer ab etwa 1970 (4. Kapitel) und dem "Desktop-Computer" (5. Kapitel). Die Abgrenzung dieser beiden Kategorien scheint etwas willkürlich. Weil aus dieser Ära noch relativ viele Augenzeugen leben, ist deren Berichterstattung nun deutlich dichter. So gibt es etwa einen Bericht über den Commodore PET 2001 von Rüdiger Ganslandt (S. 155-157), über den Sinclar ZX81 von Thomas J. Schult (161-163), über den Apple II von Wolfgang Harz (169-171) und über den Commodore C64 von Gero von Randow (177-179), über den Osborne-1 von Adolf Ebeling (203-205), über den Sinclair Z88 von Klemens Polatschek (S.219-221), über den Macintosh System 1.0 von Boris Gröndahl (S.243-245). Nicht eine einzige Quotenfrau findet sich unter den Mitarbeitern des Buches. Über die Details wie Wirkungsgeschichte oder quantitative Aspekte der Massenverbreitung kleiner Computersysteme erfahren wir praktisch nichts, was über Artikel in Fachzeitschriften hinausgeht.

Je mehr Computer in Netzwerken eingesetzt werden, desto unwichtiger wird die Oberfläche der einzelnen konkreten Maschine. Wenn aber das "Interface" als Hauptmotiv abhanden zu kommen droht, gleitet der Versuch der historischen Arbeit in ein seltsames medientheoretisches Phrasen-Dreschen ab:

"Gemeinsam mit einer Medialisierung des Computers und einer Computerisierung der Medien wird die Schnittstelle des nunmehr vernetzten Computers im wahrsten Sinn des Wortes zu einer Universalschnittstelle und einem Universalmedium, das Transaktion und Kommunikation genauso leisten kann wie den Zugang zu Informationen, Diensten und Aufgaben." (S. 263)

Nicht unoriginell ist Wursters Konsequenz aus der Geschichte der Computer-Oberfläche, umschrieben mit der Kapitelüberschrift "Konvergenz und Verflüchtigung". Die Idee der Konvergenz zeigt sich etwa in der Vorstellung einer Kreuzung von Fernsehen und Computer (S. 278). "Verflüchtigung" heißt nicht etwa, dass alle Computer verschwinden würden, sondern dass sie in Folge der weiteren Miniaturisierung aus dem unmittelbaren "Gesichtsfeld" des Menschen verschwinden und sich z.B. in Laufschuhen, Uhren und Mobiltelefonen verstecken würden. Weil es dabei wieder um das "Interface" geht, scheint sich eine Fortsetzung des Buches geradezu aufzudrängen.

Ein großer Teil des Materials, das der Autor zusammengetragen hat, findet sich im ersten von drei Anhängen unter dem Titel "Personen/Firmen/Rechner". Hier gibt es zwar Verweise auf den Hauptteil des Buches, nicht jedoch Zitate im herkömmlichen Sinn, wie es den elementaren Regeln wissenschaftlicher Arbeit entsprechen würde. Einzelne "historische" Aussagen sind also nicht ohne weiteres nachzuvollziehen. Ein kurzer bibliographischer Anhang listet etwa 50 Bücher und Zeitschriftenaufsätze auf und lässt den Verdacht aufkommen, dass das Rohmaterial für das Buch eben nicht systematisch in der Absicht historischer Arbeit zusammengetragen worden ist. Wenn aber doch, dann nicht von einem Menschen, der das Handwerk des Historikers gelernt hat. Vollkommen schleierhaft scheint, wie das Wiener Nachrichtenmagazin "Profil" (Nr. 20,12.5.2002) zum Urteil kommen konnte, das Buch wäre eine "wissenschaftlich fundierte Rundschau".

Das Wort "Geschichte" im Buchtitel ist wohl eher in einem sehr allgemeinen alltagssprachlichen Sinn zu verstehen: hier wird eher "eine Geschichte erzählt" als "Geschichte geschrieben". Eingelöst wurde hingegen das Versprechen, dies illustriert zu tun. Der Quellenwert der reichlich vorhandenen Abbildungen scheint höher als der des begleitenden Texts. Dass dabei eine gewisse Redundanz herrscht, darf man dem Autor wohl zugestehen, und es hat wenig Sinn, darüber nachzudenken, ob ein Atari-Joystick aus dem Jahr 1977 wirklich auf einer Doppelseite optimal abgebildet ist (S. 182-183).

Über ihre dokumentarische Funktion hinaus erzählen uns die Bilder auch von einer vergangenen Zeit: als im vorigen Jahrhundert die Menschen noch an die Maschine glaubten. Seltsamerweise scheint es so, als sei diese Zeit längst vorbei. Es ist zu hoffen, dass es in Zukunft zur Ergänzung dieser Illustrationen einmal eine Geschichte des Computers geben wird, die über die Betrachtung des "Interface" und damit der Oberfläche hinausgeht.

Bei all dieser (aus historischer Sicht: notwendigen) Kritik am Text des Buches sei klar und deutlich festgehalten: wegen der Bilder ist das ist auch ein Buch, das Spaß gemacht hat. Es ist ein Erinnerungsbuch und erfüllt vielleicht sogar die Funktion eines Familien-Albums. Wir Computer-Veteranen können unseren Kindern die Bilder zeigen und Geschichten von damals erzählen: So war das damals im Rechenzentrum! So einen hab ich auch gehabt! Und deswegen meinte auch mein Sohn (10 Jahre): "Ziemlich cooles Buch!"


Taschen Verlag

Robert Holzbauer ist Historiker und seit Jahren ein Netzpionier in Österreich. Seine Forschungsschwerpunkte befinden sich im Bereich der Arisierung vom Mobilien, der Vugesta sowie des Open Directory Projects.

www.holzbauer.net

Buchveröffentlichung u.a.
Robert Holzbauer, Gerhard Jagschitz, Peter Malina, Handbuch audiovisueller Medien in Österreich 1989, Wien 1989.

 



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