Um es vorwegzunehmen: Isabelle Engelhardts Dissertation ist in vieler Hinsicht
anregend, doch ihr Konzept vermag letztendlich nicht zu überzeugen -
versucht sie doch, eine wohl allzu breite Vielfalt von Themen auf einmal zu
bearbeiten. Engelhardt analysiert verschiedene Formen der Holocaustrepräsentation
in den Gedenkstätten der früheren Konzentrationslager Dachau und
Buchenwald, um diese mit drei Gedenkstätten außerhalb Deutschlands
zu vergleichen: Auschwitz, Yad Vashem und Washington. Dabei untersucht sie
Gedenkstätten als Teil ihrer jeweiligen nationalen Geschichte und Politik.
Hierin folgt sie ihrem Mitbetreuer, dem weithin bekannten James E. Young.
Sie legt dar, dass die Darstellungsformen, die in Dachau und Buchenwald eingerichtet
wurden, eher "Darstellungen des Verhältnisses zur Vergangenheit
als Darstellungen der Vergangenheit selbst"2
(S.17) seien. Die Gedenkstätten spiegeln den politischen Wandel des jeweiligen
Landes wider - besonders deutlich wird dies am Beispiel der DDR sowie Deutschlands
nach der Wiedervereinigung und in Polen nach 1989.
Das zweite Kapitel, meines Erachtens das interessanteste, beschreibt die grundsätzlichen Schwierigkeiten des Umgangs mit dem Holocaust, wie sie bereits kurz nach der Befreiung der Lager in Erscheinung traten. Themen wie Repräsentation, Authentizität, Instrumentalisierung, "Holocaust-Tourismus", das Bedürfnis wie die Pflicht, Zeugnis abzulegen, und die Frage, wie dies in angemessener Form geschehen könnte, waren von Beginn an präsent und bestimmen die Debatte bis heute.
Indem Engelhardt einen Teil der umfangreichen Literatur über "Trauma, Identität, Geschichte, Erinnerung und Metapher"3 (S.21) bespricht, versucht sie, ihrer Arbeit einen weiten Rahmen zu geben - hinsichtlich der Möglichkeiten ihres Buch eine nicht erfüllbare Aufgabe, die sie zu einem selektiven und daher nicht überzeugenden Vorgehen zwingt. In dieser Besprechung wird keine Zusammenfassung der einzelnen Kapitel wiedergegeben; die dort genannten Fakten sind aus anderen Arbeiten bekannt und dort weitaus ausführlicher dargestellt. Stattdessen möchte ich mich auf Folgendes konzentrieren: erstens das generelle Problem, diese verschiedenen Gedenkstätten miteinander zu vergleichen; und zweitens das Fehlen eines wirklichen Vergleiches.
Vergleich des Unvergleichlichen?
Zugegeben, meine Schwierigkeiten, Engelhardt zuzustimmen, erwachsen bereits aus der Auswahl der Vergleichsobjekte. Im Gegensatz zu Engelhardt, die die Hauptunterschiede der Anlagen in "ihrer Lage und dem Umstand, dass die Gedenkstätten der Konzentrations- bzw. Vernichtungslager auch als Ersatzfriedhöfe fungieren"4 (S.20), sieht, erscheinen mir andere Unterschiede zentral. Dachau war das erste große NS-Konzentrationslager, doch kam es dort zu keinen systematischen Massenvernichtungen. In Buchenwald waren Juden unter den Häftlingen de facto in der Minderheit. Nichtsdestotrotz könnte man argumentieren, dass Dachau als Modell diente für das Netzwerk, das Deutschland und dann die besetzten Länder überzog. Dachau, Buchenwald und Auschwitz waren Schauplätze der Verbrechen - aber Auschwitz war ein Vernichtungslager und sein Name wurde später zum Synonym für den Holocaust selbst. Yad Vashem und Washington hingegen sind später errichtete Institutionen, fernab vom Ort des historischen Geschehens. In Dachau - wie Engelhardt selbst erwähnt - "ist das Narrativ an den Ort gebunden, versucht nicht, des Holocausts in seiner Ganzheit zu gedenken und endet mit 1945" (S.208).5 Im Gegensatz dazu versuchen Yad Vashem und Washington, den Holocaust eben in seiner Gesamtheit darzustellen.
Ein semantisches Problem tritt auf, wenn wir uns vor Augen führen, dass Engelhardt keine Definition dessen angibt, was der Holocaust war. Dies mag kleinlich klingen, doch wie Engelhardt selbst betont: Das Problem der Darstellung beginnt bereits mit den Schwierigkeiten, eine angemessene Bezeichnung für die NS-Verbrechen zu finden (S.19). Es ist ein Unterschied, ob man Yehuda Bauers "Rethinking the Holocaust" folgt und der Begriff die Vernichtung der europäischen Juden bezeichnet oder ob man - wie Young - auch andere Opfergruppen einschließt.6 Engelhardt lehnt den Begriff "Shoah" ab, da er sich nur auf die jüdischen Opfer bezieht (S.18) - man muss folglich annehmen, dass sie Youngs weiter gefasstem Verständnis folgt. Eine eindeutige Definition wäre hilfreich, die Motivation, die dem Vergleich zugrunde liegt, zu erfassen.
Wie sie mit ihrem Überblick zu den Gedenkstätten zeigt, wird der Holocaust auf verschiedene Weise interpretiert. Dies trifft insbesondere auf die Zeit des Kalten Krieges zu, doch auch heute werden lange vernachlässigten Opfergruppen eigene Monumente zugestanden - niemand scheint imstande, ein Monument zu errichten, das von allen Opfergruppen als repräsentativ anerkannt wird. Das Fehlen einer Definition führt zur Verwirrung: "Ausgehend von der beinahe gänzlichen Abwesenheit von Juden im Gedenkprozess und ihrer Abwesenheit in Europa im Allgemeinen, ist es fraglich, ob diese drei eher ortsspezifischen Gedenkstätten [Dachau, Buchenwald, Auschwitz] überhaupt Holocaust-Gedenkstätten' genannt werden können."7 (S.203) Warum also ein Vergleich mit den zwei Holocaust-Gedenkstätten Yad Vashem und Washington?
Auch wenn die Wahl des Vergleichs problematisch ist, könnte er meines Erachtens dennoch zu einer produktiven Analyse führen, hätte Engelhardt den Vergleich auf bestimmte Aspekte wie Angemessenheit, Authentizität, Ort bzw. Entortung beschränkt und diese dann direkt verglichen - doch direkte Gegenüberstellungen vermisse ich. Anstatt der chronologischen Überblicke über die Gedenkstätten wäre es vorteilhafter gewesen, eine Auswahl relevanter und geeigneter Beispiele anzubieten, die die verschiedenen zugrunde liegenden Strategien hätten aufzeigen können. Zum Beispiel: Engelhardt führt die Debatte über das Menschenhaar an, das von Auschwitz nach Washington gebracht wurde (es wurde allerdings schließlich nicht gezeigt, stattdessen ist eine Fotografie zu sehen) (S.195), ohne zu erwähnen, dass in Auschwitz fast zwei Tonnen Haar ausgestellt werden.8 Warum nützt die Autorin diese Gelegenheit nicht für einen direkten Vergleich, um die ihr wichtigen Themen zu illustrieren: die Frage der Authentizität (S.212) und die Aussagekraft der Relikte (S.172)?
Es wäre für die Untersuchung sicherlich von Vorteil gewesen, wenn sie auf eine wohlbegründete Auswahl von Vergleichsbeispielen beschränkt worden wäre - zum Beispiel auf Ort und Entortung, ein Thema, das die Autorin als den "zentralen Punkt" des Vergleichs erachtet (S.210). "Der Ort' scheint für alle fünf Gedenkstätten von zentraler Bedeutung zu sein"9 (S.159) - selbst für Washington und Yad Vashem, zwar keine Schauplätze des Geschehens, aber bedeutungsgeladen durch ihre Lage in den spezifischen Gebieten ihrer jeweiligen Hauptstadt. Über die Orte der Verbrechen hält Engelhardt fest: "Der Ort ist der Ort und es ist möglicherweise diesem Umstand zu danken, dass er der völligen Instrumentalisierung standhält. Jedenfalls hat er eine Wirkung auf den Besucher."10 (S.210) Aber Engelhardt stärkt ihre eigene These nicht, wenn sie gleichzeitig zeigt, dass die historischen Fakten politischer Ideologien zuliebe ignoriert wurden. Die Autorin schreibt selbst, dass sich die Bedeutung der Orte "aus dem Wissen, das wir ihnen entgegenbringen"11, herleitet (S.150); und sogar die Schauplätze angewiesen sind auf "die Reaktionen der Besucher. Selbst die historischen Orte mit ihren Artefakten haben nicht per se einen unabdingbaren Willen zu erinnern."12 (S.152)
Es scheint sogar so zu sein, dass Yad Vashem und Washington einen längerfristigeren Einfluss auf die Darstellungsformen des Holocaust haben als die historischen Stätten. Hier hatte man mit dem Problem umzugehen, etwas Neues zu schaffen, und nutzte diese Möglichkeit, eine bestimmte Holocaust-Museums-Ästhetik zu etablieren - "am erfolgreichsten entwickelt vom Museum in Washington im Wettstreit mit Yad Vashem".13 Darauf folgt ein interessantes Argument: Ihre Ästhetik "dient nicht allein als Modell für Gedenkstätten räumlich getrennt von den Stätten des Geschehens, sondern wird an die eigentlichen Schauplätze der Zerstörung zurückgeführt"14 (S.211). Hier stellt sich erneut die oben erwähnte Frage nach einer Definition. Mir scheint es, als ob nicht nur die Ästhetik rückimportiert wird, sondern auch der Inhalt, der über die Ästhetik transportiert wird. Der Wettstreit zwischen Yad Vashem und Washington betrifft "das Ringen um die Etablierung einer Haupterzählung über den Holocaust"15 (S.35), damit in gewisser Weise auch das Bemühen, zu bestimmen, was der Holocaust war und als was er erinnert wird. Heute spielen Institutionen, fern der historischen Orte des Verbrechens, eine entscheidende Rolle für deren Gestalt und Inhalt.
Allgemeine Anmerkungen
Es wäre sicherlich von Vorteil gewesen, wenn das Buch seinen starken Dissertationscharakter verloren hätte. Hilfreich wäre es, mehr Bilder in den Text zu integrieren, um die beschriebenen Gedenkstätten zu illustrieren. Die Gründe dafür, dass das nicht geschah, werden finanzieller Natur sein. Zu Beginn des Buches finden wir eine Collage mit Fotos zu jeder Gedenkstätte, leider ohne jede weitere Erklärung. Die Art, wie diese exzellenten Fotos (Jörg Wagner) arrangiert wurden, ähnelt der Ästhetik heute beliebter Architekturbücher - schön zusammengestellt -, doch in diesem Fall wäre ein Mehr an Information vorzuziehen. Und eine letzte Anmerkung sei gestattet: Wenn die Zitate aus dem Englischen, Französischen oder gar Italienischen in ihrer ursprünglichen Form beibehalten bleiben, warum dann eine Übersetzung deutscher Zitate ins Englische?
1
Es handelt sich bei dieser Besprechung um die erstmals auf Deutsch publizierte
Version des ursprünglich auf Englisch verfassten und bereits im August
2002 auf H-Museum bzw. H-Net veröffentlichten Textes. (Die Übertragung
ins Deutsche erfolgte im Einvernehmen mit der Verfasserin und den Betreibern
von H-Net und H-Museum im Auftrag der Redaktion von "eForum zeitGeschichte".)
Die englische Erstfassung ist abrufbar unter: http://www2.h-net.msu.edu/reviews/showrev.cgi?path=154601031593130
bzw.
http://www.vl-museen.de/lit-rez/schult02-1.htm.
2"... representations of the
relations to the past than representations of the past itself" (p.17).
3"... trauma, identity, history,
memory and metaphor" (p.21).
4"... their location and the
fact that the concentration or exterminate camp memorials also serve as substitute
cemeteries." (p.20).
5"... the narrative is bound
to the place, does not attempt to memorialize the Holocaust in its totality,
and stops in 1945" (p.208).
6James E. Young (Hg.): Mahnmale des
Holocaust: Motive, Rituale und Stätten des Gedenkens, München 1994,
S. 21.
7"Given the almost complete
absenceof Jews in the process of memorialization and their absence in Europe
in general, it is questionable whether these three rather site-specific memorial
places [Dachau, Buchenwald, Auschwitz] can even be called Holocaust
memorials'." (p.203).
8Burkhard Asmuss (Hg.): Holocaust.
Der nationalsozialistische Völkermord und die Motive seiner Erinnerung,
Berlin: Deutsches Historisches Museum, 2002, S. 327.
9"The place' seems to
be crucial for all five memorials." (p.159).
10"... the place is the place
and possibly by virtue of this fact resists total instrumentalization. At
least, it does not fail to have an impact on the visitors." (p.210).
11"... from the knowledge
we bring to them." (p.150).
12"... reaction of the visitor.
Even their historic' places and artefacts lack by themselves the crucial
will to remember." (p.152).
13"... most successfully developed
by the Washington museum in competition with Yad Vashem."
14"... not only serves as
a model for memorials at a spatial remove but is also reimported to the sites
of destruction." (p.211).
15"... the struggle to establish
a Holocaust master-narrative." (p.35).
Tanja Schult, Kunsthistorikerin an der Hochschule Södertörn, Schweden, arbeitet an ihrer Dissertation "Monuments over Raoul Wallenberg".
E-Mail: TanjaSchult@web.de
Englische Erstveröffentlichung
in H-Museum <http://www.h-museum.net>
(Copyright H-Museum)
Kontaktadresse wegen Urheberrechte für die Rezension: h-museum@h-net.msu.edu