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Akten zur Auswärtigen Politik der Bundesrepublik Deutschland 1971, 3 Bände, herausgegeben im Auftrag des Auswärtigen Amts vom Institut für Zeitgeschichte/München. Hauptherausgeber Hans-Peter Schwarz. Mitherausgeber Helga Haftendorn, Klaus Hildebrand, Werner Link, Horst Möller und Rudolf Morsey. Bearbeitet von Martin Koopmann, Matthias Peter und Daniela Taschler. Wissenschaftliche Leiterin Ilse Dorothee Pautsch, Oldenbourg Verlag: München 2002, 2153 Seiten.

von Rolf Steininger

Seit 1994 werden die "Akten zur Auswärtigen Politik der Bundesrepublik Deutschland" veröffentlicht. Die Dokumentenbände begannen mit dem Jahr 1963 und erscheinen entsprechend der 30jährigen Sperrfrist. Mit Blick auf sorgfältige Bearbeitung, Kommentare und Register haben diese Bände Maßstäbe gesetzt. Was für die Jahre 1963 bis 1970 zutrifft, trifft auch für den Band 1971 zu. Ingesamt werden 454 Dokumente veröffentlicht, die allerdings nicht alle aus dem Politischen Archiv des Auswärtigen Amts stammen. Wichtige und die Einblicke ergänzende Schriftstücke stammen aus dem Nachlaß des ehemaligen Bundeskanzlers Brandt bzw. aus dem Bestand des damaligen Chefarchitekten der Ostpolitik und Staatssekretärs im Bundeskanzleramt, Egon Bahr. Beide Bestände befinden sich im Archiv der sozialen Demokratie der Friedrich-Ebert-Stiftung in Bonn.

Die Bände für die Jahre 1969 und 1970 enthielten die bahnbrechenden Verhandlungen Willy Brandts und Egon Bahrs zur Ostpolitik. Wer ähnlich Faszinierendes von dem vorliegenden Band erwartet, wird einigermaßen enttäuscht. Auswärtige Politik der Bundesrepublik, die diesen Namen verdient, ist kaum festzustellen. Dies wohl auch ein Zeichen dafür, wie ausgeschlossen die Bundesrepublik von wichtigen weltpolitischen Entwicklungen und Entscheidungen damals war.

Im Mittelpunkt des Bandes stehen die Vier-Mächte-Verhandlungen über Berlin. Willy Brandt wußte, daß seine Verträge, die in Westdeutschland vom Großteil der Bevölkerung als Verzichtverträge betrachtet wurden, von einem sichtbaren Erfolg begleitet sein mußten, und das konnte nur Berlin sein. Ein Erfolg dort war allerdings Sache der Vier Mächte: Ratifizierung der Ostverträge nur bei vertraglich festgelegten Fortschritten in Berlin. Damit hatten die Vier Mächte den Hebel für einen Erfolg der Ostpolitik in der Hand.

Bedenklich bei den Berlin-Verhandlungen war die fehlende Sachkenntnis der drei westlichen Botschafter, die vor allem der Berliner Egon Bahr bedauerte. Hinzu kam, daß Washington die Bonner Ostpolitik nicht ohne Mißtrauen verfolgt hatte. Hier war es Egon Bahr, der versuchte, ein besonderes Vertrauensverhältnis zum amerikanischen Sicherheitsberater Henry Kissinger aufzubauen und gleichzeitig in Bonn die Berlin-Verhandlungen voranzutreiben. Gemeinsam mit dem amerikanischen Botschafter Kenneth Rush und dem sowjetischen Botschafter Valentin Falin wurde in Bonn vorbereitet, was dann in Berlin weiterverhandelt wurde. Die "drei Musketiere" in Bonn waren jeweils schneller als die vier Botschafter in Berlin. Über diese Gespräche in Bonn informierte Bahr regelmäßig Henry Kissinger. Diese Dokumente stammen aus dem Archiv der sozialen Demokratie und gehören noch zu den interessantesten in den drei Teilbänden.

Mangels "echter" Außenpolitik haben sich die Editoren entschieden, die Verhandlungen zwischen Bonn und der DDR breit zu belegen. Mit dem Berlin-Abkommen waren auch die Voraussetzungen für den Beginn intensiver Verhandlungen zwischen den beiden deutschen Staaten über die Regelung des Transitverkehrs zwischen Berlin und dem Bundesgebiet gegeben. Wie extrem schwierig sich diese Verhandlungen teilweise gestalteten, wird ausführlichst belegt. Genannt sei ein geradezu absurdes Beispiel: da wurde die Formulierung "von und nach Berlin (West)" vom DDR-Unterhändler als Herausforderung empfunden, da dadurch deutlich gemacht werden sollte, daß die BRD in erster Linie für West-Berlin abschließen wolle. Es müsse mindestens heißen "nach und von Berlin (West)". Die Geduld von Staatssekretär Bahr ist bewundernswert - auch bei der Abwehr Ost-Berliner Bemühungen, das Berlin-Abkommen in ihrem Sinne auszulegen. Das geschah z. B. bei der Übersetzung des englischen Wortes "ties". Nach westlichem Verständnis hieß das Bindungen, nach DDR-Verständnis Verbindungen.

Im September 1971 reiste Willy Brandt in die Sowjetunion. Die Gespräche mit Leonid Breschnew auf der Krim markierten einen weiteren wichtigen Schritt in der Ausgestaltung der bilateralen Beziehungen ein Jahr nach Unterzeichnung des Moskauer Vertrages. Eitel war der Kreml-Chef auch: Auf der Fahrt nach Oreanda machte er im Gespräch mit Brandt klar, daß er das Zusammentreffen für eine "historisch wichtige Begegnung" halte und erwarte, daß sie auch "in der europäischen Geschichte festgehalten" werde. Als Brandt die DDR-Führung erwähnte, war er überrascht, daß Breschnew unbefangen darstellte, wie sehr er verstehe, daß Brandt "die Spaltung Deutschlands" beschäftige. Aber: Weder er (Breschnew) noch Brandt, "sondern Hitler sei dafür verantwortlich". Insgesamt waren die Gespräche erstaunlich offen und freundlich. Immer wieder wies Breschnew auf die Bedeutung des Moskauer Vertrages hin und auf das Entgegenkommen von sowjetischer Seite beim Berlin-Abkommen. Es sei notwendig, "die Kontakte zwischen unseren beiden Ländern auf allen Ebenen zu fördern".

Der CDU/CSU-Fraktionsvorsitzende Rainer Barzel, der sich vom 10. bis 16. Dezember 1971 in der Sowjetunion aufhielt, stellte offensichtlich unangenehme Fragen: "Wie sei ‚Entspannung' mit dem Schießbefehl, der Unterdrückung der Freizügigkeit und dem Fehlen sonstiger humanitärer Regelungen zu vereinbaren"? Die Antworten waren knochenhart und wenig erfreulich. Ministerpräsident Kossygin stellte klar: "Die Mauer sei eine völlig normale Grenze. Ob sie eines Tages durch einen Schlagbaum ersetzt werde, hänge ganz von der Zukunft ab. Unerschütterlich seien lediglich die Ergebnisse dieses Zweiten Weltkrieges. In der Hinsicht seien keinerlei Kompromisse von der Sowjetunion zu erwarten."

Ein weiteres Thema der Edition sind der EG-Beitritt Großbritanniens und die vielfachen Gespräche zwischen Willy Brandt, dem britischen Premierminister Edward Heath und dem französischen Staatspräsidenten Pompidou. Kossygin nannte die Erweiterung der EG die Errichtung einer "Chinesischen Mauer", während Heath gegenüber Willy Brandt im April 1971 klar vor einem erneuten Fehlschlag warnte: "Nichts könnte der Sowjetunion gelegener kommen." Es gab keinen Fehlschlag; wie allerdings die Probleme zwischen London und Paris gelöst wurden, darüber geben die Dokumente keinen Aufschluß. Etwas erfahren wir auch über die Anfänge der europäischen Sicherheitskonferenz und über Währungsfragen sowie die Nahostpolitik. Dies waren allerdings im Jahr 1971 nur Themen am Rande.


Rolf Steininger ist ordentlicher Universitätsprofessor und seit 1984 Vorstand des Instituts für Zeitgeschichte an der Universität Innsbruck.

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Institut für Zeitgeschichte der Universität Innsbruck

E-Mail: Rolf.steininger@uibk.ac.at

Oldenbourg Verlag


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