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Matthias Uhl/Armin Wagner (Hg.), Ulbricht, Chruschtschow und die Mauer. Eine Dokumentation. Herausgegeben und eingeleitet von Matthias Uhl und Armin Wagner (Schriftenreihe der Vierteljahreshefte für Zeitgeschichte, Bd. 86), R. Oldenbourg-Verlag: München 2003.

von Rolf Steininger


"Niemand hat die Absicht, eine Mauer zu errichten", erklärte DDR-Staats- und SED-Parteichef Walter Ulbricht am 15. Juni 1960 auf einer viel beachteten internationalen Pressekonferenz in Ost-Berlin (im Übrigen hat er nicht gesagt: "… zu bauen", wie die Herausgeber auf der Rückseite ihres Buches schreiben). Zwei Monate später war Berlin durch eine Mauer geteilt. Über die Entscheidungsprozesse auf westlicher Seite beim Mauerbau sind wir inzwischen ziemlich genau informiert.1 Was sich aber vor, während und unmittelbar nach dem 13. August 1961 in Ost-Berlin und Moskau hinter den Kulissen abgespielt hat, blieb jahrzehntelang im Dunkeln.

Das hat sich mit dieser wichtigen Arbeit von Matthias Uhl und Armin Wagner grundlegend geändert. Sie veröffentlichen 47 Dokumente aus deutschen und russischen Archiven, darunter Akten der SED- und KPdSU-Führung, der Nationalen Volksarmee und des Ministeriums für Staatssicherheit. In einer ausführlichen Einleitung werden diese Dokumente zudem erläutert.

Eine Reihe von Fragen, vor allem im unmittelbaren Zusammenhang mit dem Mauerbau, kann jetzt beantwortet werden. So erfahren wir, dass Ost-Berlin und Moskau die Schließung der Grenzen in Berlin gemeinsam vorgenommen haben, wobei Ost-Berlin wesentlich früher, als bisher angenommen, mit Überlegungen und Vorbereitungen dazu begann, ohne zu dieser frühen Zeit das Einverständnis des Kreml zu besitzen. Später sicherten die Sowjetunion und deren Streitkräfte die Aktion strategisch ab. Die DDR übernahm die Ausarbeitung der mit der Grenzschließung verbundenen praktischen und taktischen Maßnahmen.

Anfang 1962 hat Chruschtschow einmal zu Ulbricht gesagt, die Mauer sei das Maximum dessen, was erreichbar gewesen sei. Das macht deutlich, dass Ulbrichts Handlungsfreiheit nach der Zustimmung zum Mauerbau aus Moskau nur noch begrenzt war. Moskau ließ keinerlei Eskalation mehr zu. Ein Konflikt mit dem Westen sollte beinahe um jeden Preis vermieden werden. Ähnlich dachte man im Übrigen auch auf westlicher Seite. Deutlich wurde allerdings auch - insbesondere nach der Krise am Checkpoint Charlie im Oktober 1961 -, dass die Sowjetunion das Sagen in der DDR hatte. Genauso formulierte es neun Jahre später auch KPdSU-Chef Breschnjew gegenüber Erich Honecker, als er meinte: "Ohne uns gibt es keine DDR."


1 Vgl. Rolf Steininger, Der Mauerbau. Die Westmächte und Adenauer in der Berlinkrise 1958-1963, Olzog-Verlag München 2001, 411 Seiten.


R. Oldenbourg Verlag

Rolf Steininger ist ordentlicher Universitätsprofessor und seit 1984 Vorstand des Instituts für Zeitgeschichte an der Universität Innsbruck.

Publikationsliste

Institut für Zeitgeschichte der Universität Innsbruck

E-Mail: Rolf.steininger@uibk.ac.at



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