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Peter Krause: Der Eichmann-Prozeß in der deutschen Presse ( Wissenschaftliche Reihe des Fritz-Bauer-Instituts, Bd. 8), Campus: Frankfurt/Main-New York 2002.

von Heinz P. Wassermann


Will man an diesem Buch etwas kritisieren, dann den "verfehlten" Titel. Peter Krause legt mit der Monographie "Der Eichmann-Prozeß in der deutschen Presse", es handelt sich um die überarbeitete Dissertation des Verfassers an der Freien Universität Berlin, keineswegs "nur" eine qualitative Medienanalyse vor, sondern positioniert den in Israel stattgefundenen Prozeß gegen Adolf Eichmann in einen "Rahmen", der nichts, aber schon gar nichts zu wünschen übrig läßt. Gerade Arbeiten über ein zeitlich so exakt eingrenzbares und eingegrenztes Thema laufen nicht selten Gefahr, jeden Kontext, jedes Davor und Danach auszublenden, somit den "Zeitgeist" als Parameter historischer Kontextualisierung auszublenden und alles in allem unbefriedigend zu bleiben.

Krause gliedert seine Monographie in zehn Kapitel, wobei die Analyse der Primärquellen (FAZ, Frankfurter Rundschau, Rheinischer Merkur, Der Spiegel, Der Stern, Süddeutsche Zeitung, Der Tagesspiegel, Die Welt und Die Zeit für West-, sowie Berliner Zeitung und Neues Deutschland für Ostdeutschland) naturgemäß dominiert (S. 142-294).

Vor der, besser: den Analysen, auf die noch einzugehen sein wird, setzt der Verfasser den Eichmann-Prozeß in den Rahmen der deutschen Nachkriegsgesellschaft. Wer mit dieser Thematik, die sich sehr deutlich am Konzept der "Vergangenheitspolitik" des Bochumer Historikers Norbert Frei orientiert,1 nicht vertraut ist, wird in diesem Abschnitt (S. 74-89) bestens bedient, wie überhaupt die Kompilation der Sekundärliteratur äußerst befriedigend ausfällt.

Einen ersten analytischen Schritt setzt Krause im Kapitel "Politiker, Kirchen und Intellektuelle - Das breite Echo auf den Eichmann-Prozeß" (S. 89-141). Die in diesem Abschnitt referierten Meinungsforschungsergebnisse belegen, daß sich die bundesdeutsche Adenauer-Öffentlichkeit grosso modo vom Prozeß vor dem Bezirksgericht in Jerusalem "belästigt" (aber nicht aufgewühlt) fühlte (S. 98-101). Die politischen Stellungnahmen waren dominiert von der "Sorge um das Ansehen der Bundesrepublik in der Welt, [...] der Furcht vor einer Instrumentalisierung des Falles Eichmann durch die antiwestliche Propaganda der Sowjetunion, der DDR und anderer Ostblock-Staaten [...], die schwierigen und sensiblen Beziehungen zwischen der Bundesrepublik und Israel nicht durch unbedachte Schritte [...] zu belasten. Und schließlich stellte sich die Frage nach der Verantwortung aller Deutschen für die nationalsozialistischen Gewaltverbrechen." (S. 105).

Während sich die katholische Kirche in ihren Äußerungen zum Prozeß sehr zurückhaltend verhielt, betonte die evangelische Kirche "unmißverständlich die Verantwortung aller Deutschen" für den Holocaust und stellte die Berufung auf angebliche Zwänge des Befehlsnotstandes in Frage (S. 118). Karl Jaspers, Max Horkheimer, Hans Magnus Enzensberger und schließlich Hannah Arendt geben das Material der Analyse des intellektuellen Diskurses. Dessen Ergebnis überrascht nicht wenig: Zum einen stieß der Prozeß keineswegs auf Zustimmung, zum anderen berührt die vorgenommene Gleichsetzung von Holocaust und Eichmann mit dem Abwurf von Atombomben und den Planern eines Atomkrieges als neuen "Schreibtischtätern" seltsam.

Den Mediendiskurs der elf Tages- und Wochenzeitungen arbeitet Krause nicht Zeitung für Zeitung ab, sondern nach neun zuvor gefundenen und gebündelten thematischen Feldern. Daß die Einschätzungen und Bewertungen der einzelnen Blätter - die Auswahl der Titel kann in der Tat als repräsentativ für die damalige Medienlandschaft gelten - ein denkbar breites Spektrum zeigen, verwundert nicht, ebensowenig der Umstand der teilweise divergierenden Meinungen innerhalb der einzelnen Redaktionen.

Ein Kapitel soll besonders hervorgehoben werden, ist es doch nach Einschätzung des Rezensenten das gelungenste und spannendste der vorliegenden Publikation und zeigt es exemplarisch, wie es Krause versteht, die Makroebene (also das gesellschaftlich-politische Umfeld der Rezeption in beiden Nachkriegsdeutschland) mit der Mikroebene (dem Mediendiskurs) zu verknüpfen. In Kapitel vier - "Kalter Krieg" und "Kalte Amnestie". Der zeitgeschichtliche Hintergrund des Eichmann-Prozesses (S. 74-89) - liefert der Autor den Rahmen, innerhalb dessen er die Auseinandersetzung zwischen Ost und West mittels des "Vehikels" Eichmann(-Prozeß) nachzeichnet.

Die Abschnitte "Die DDR-Presse und der Eichmann-Prozeß" (S. 208-244) und "Der Fall Eichmann und der Kalte Krieg - Die Reaktionen auf die Propaganda aus dem Osten" (S 244-252) zeigen deutlich, wie die NS-Vergangenheit als politische Waffe gegen die Bundesrepublik (und das westliche Bündnis) instrumentalisiert wurde, wie sehr sich die DDR durch die neue Gesellschaftsordnung und den neuen Namen von der Verantwortung für den und die Auseinandersetzung mit dem Faschismus per definitionem absentierte.

Die Reaktionen der westlichen Presse - die Herren Globke2 und Oberländer3 waren für einschlägige Polemiken freilich prädestiniert - bezeichnet der Autor als "zurückhaltend[e] [...] Abwehr" (S. 245). Die Auseinandersetzung selbst deutet er als "Kristallisationspunkt für die geschichtspolitische Auseinandersetzung zwischen der Bundesrepublik und der DDR" (S. 252).

Bleibt somit zusammenfassend festzuhalten: Abgesehen vom allzu bescheiden wirkenden Titel und dem Umstand, daß die antisemitische Schmierwelle vom Winter 1959/1960 für die Begriffe des Rezensenten etwas zu "unterkühlt" kontextualisiert wurde (das Verhalten der DDR-Presse der Bundesrepublik gegenüber kann als paradigmatisch für die ostdeutsche Rezeption des Eichmann-Prozesses angesehen werden), ist die Übung mehr als gelungen.


1 Vgl. Norbert Frei: Vergangenheitspolitik. Die Anfänge der Bundesrepublik und die NS-Vergangenheit, München 1996.
2 Hans Globke (1898-1973) war unter anderem an der Formulierung des Gesetzes über die Auflösung des preußischen Staatsrates (10. Juli 1933) sowie anderer Gesetze zur Gleichschaltung parlamentarischer Gremien in Preußen beteiligt. Berüchtigt wurde er für den gemeinsam mit Wilhelm Stuckart (Staatssekretär im Reichsinnenministerium) verfaßten Kommentar zu den sogenannten "Nürnberger Gesetzen" vom 15. September 1935. Globkes Karriere nach 1945 war mehr oder minder ungebrochen - schließlich wurde er 1953 von Adenauer zum Staatssekretär ernannt.
3 Der bis Mai 1960 amtierende Bundesvertriebenenminister und nachmalige CDU-Bundestagsabgeordnete Theodor Oberländer wurde 1960 wegen Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit von der DDR in Abwesenheit zu einer lebenslänglichen Zuchthausstrafe verurteilt.


Campus Verlag

Fritz-Bauer-Institut

Heinz P. Wassermann ist Historiker in Graz.

E-Mail: Heinz P. Wassermann

Buchveröffentlichungen u.a.:
Heinz P. Wassermann (Hrsg.), Antisemitismus in Österreich nach 1945. Ergebnisse, Positionen und Perspektiven der Forschung (Schriften des Centrums für Jüdische Studien, Bd. 3), StudienVerlag: Innsbruck 2002.
Heinz P. Wassermann, "Zuviel Vergangenheit tut nicht gut". Nationalsozialismus im Spiegel der Tagespresse der Zweiten Republik, StudienVerlag: Innsbruck 2000.

 



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